Patientenverfügung

Ich hatte gestern über den aktuellen und akuten Zustand meiner Mutter berichtet - ich hatte nach meinem Termin mit der Richterin auch noch ein Telefonat mit einer lieben Bekannten, die dann irgendwann im Gespräch meinte - hat deine Mutter eine Patientenverfügung, weil wenn ja, könntet ihr euch das alles ersparen, weil auch das sind ja nur lebensverlängernde Maßnahmen.


Irgendwie war ich kurzfristig mal sprachlos - ich halte mich ja eigentlich immer für sachlich und nüchtern - aber das war dann sogar mir bissale zu heftig - so nebenbei am Telefon ;-)

Die Überlegung, wenn meine Mutter eine Patientenerfügung hätte, dann könnten sie die im Spital einfach verhungern lassen war jetzt nicht wirklich eine Option für mich. Erinnerte mich auch an den Abschied von meinen Bruder, der elendiglich erstickt ist, ohne, dass irgendwer was dagegen hätte machen können.

Wobei damals half mir die Aussage eines der tollsten Menschen, die ich kenne, letztendlich auch nicht wirklich weiter, der ihm in seiner schwersten Stunde beistand - und einige Zeit später im Gespräch meinte "Er ist bei vollem Bewusstsein erstickt, aber nach ner halben Stunde sank er eh ins erlösende Koma."

Auch eine halbe Stunde Kampf ist zu viel - und es war ihm auch nicht zu helfen - er hing an Maschinen - und auch die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun - bei diesem Kampf stand ihn aber eben ein liebevoller und bewusster Mensch bei - noch dazu einer, der mich kennt und wusste, dass es mein Bruder war - von daher ist mir auch bewusst, er hatte die beste Begleitung, die sich ein Mensch in einer derart schwierigen Stunde wünschen kann.

Aber en derartiges Ende wünsche ich nicht mal meinem grössten Feind - wobei - darüber sollte ich nochmal nachdenken *lach* - nö, im Ernst, so etwas wünsche ich niemanden - schon gar nicht Menschen, die mir irgendwann mal nahe standen - weder, dass sie ersticken, noch, dass sie verhungern.

Und jetzt liegt meine Mutter in einem ähnlichen Zustand - sie ist nicht mehr ganz bei Bewusstsein - kann sich nicht mehr artikulieren - wobei sie friedlich ausschaut - also das, was bei ihr grad passiert, klingt nicht nach Kampf - aber ich würde sie nie bewusst verhungern lassen wollen.

Also diese Vorstellung hat mir jetzt mal wieder ne schlaflose Nacht bereitet, geb ich unumwunden zu - die Aussage, wenn sie ne Patientenverfügung hätte, bräuchte sie nicht nochmal operiert werden und könnte einfach sterben war dann jetzt doch nicht das, was ich mir als Ende für meine Mutter wünsche.

Wobei - wahrscheinlich bin sogar ich schuld, dass sie noch lebt, weil da gabs ne Szene - kurz nach dem Tod meines Vaters - wo ich mich dann ins Auto setzte, zu ihr auf die Stolzalpe fuhr und ihr erklärte, sie alleine müsse die EntScheidung treffen, ob sie gleich zu meinen Vater gehen möchte - oder noch ne Zeit lang weiter leben - sie entschied sich damals fürs weiter leben.

Hätte ich diese klaren Worte damals nicht gesagt, hätte sie ihren Kampf möglicherweise schon vor über 2 Jahren beendet - und vielleicht wäre es letztendlich für sie leichter und friedvoller gewesen. Nein, ich breche jetzt nicht unter der Last der Verantwortung zusammen - weder, dass mein Vater gestorben ist, noch, dass meine Mutter noch lebt.

Letztendlich waren es ihre ureigensten EntScheidungen - ich habe ihnen die Möglichkeiten sachlich aufgezeigt. Und beider Leben endet damit, dass ich für sie EntScheidungen treffe, denen sie zeit ihres Lebens immer aus dem Weg gegangen waren.

Ja, mein Vater hat sich ein schönes Leben gegönnt - diese EntScheidungen hat er immer selbst getroffen - hat viel auf sich genommen, um seinen Traum zu leben - aber letztendlich hat er nie auf seine Umwelt Rücksicht genommen.

Und bei meiner Mutter war es noch viel ärger, weil sie hat nie wirkliche EntScheidungen getroffen - sie hat alles von den Wünschen und Bedürfnissen meines Vaters abhängig gemacht - immer zu seinem Wohle ent.schieden - aber der Rest war unwichtig - und dazu zählten auch wir Kinder.

Nein, ich bin nicht verbittert - ich bin grad wieder nachhaltig sachlich. Und nein, ich brauche keine Therapie - ich habe genug Menschen um mich, die mich auch jetzt begleiten - angefangen von meiner Tochter über jahrzehntelange Freunde - bis hin zu meinen KollegInnen im Verein.

Sie alle geben mir mehr, als mir meine Mutter je geben konnte - an Wärme - an Zuneigung - an Geborgenheit. Ich hab ihr nichts von dem verziehen, was sie mir im Laufe meines Lebens "angetan" hat - aber ich bin ihr auch nicht böse - ich gehe davon aus, sie hat ihr bestmögliches gegeben - und ich war stark genug, trotzdem zu überleben.

In diesem Sinne - was immer DU ent.scheidest - diese eine EntScheidung wird dir niemand abnehmen. Ich kann für DICH unterschreiben, was medizinische Eingriffe betrifft - da hab ich meine klaren Vorstellungen - aber ob DU weiter leben möchtest oder nicht - that's your turn.

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